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AutorenbildMathias Stricker

Ganzheitliche Beurteilung kommt zu kurz

Im Herbst 2013 wurde in den vier Kantonen des Bildungsraumes Nordwestschweiz erstmals der Leistungstest Check P3 am Anfang der 3. Klasse der Primarschule durchgeführt. Dieser soll als Standortbestimmung für die Schülerinnen und Schüler und für die Unterrichtsentwicklung durch die Lehrpersonen dienen.

Trotz schlechten Erfahrungen in anderen Ländern bezüglich Datenschutz oder medialer Aufmerksamkeit und ehrgeizigen Sparzielen im Bildungsbereich, beteiligt sich auch der Kanton Solothurn an diesem Projekt. Einerseits werden Lektionen gekürzt, andererseits ist Geld für Leistungstests vorhanden. Da kommt wenig Verständnis auf!

Jetzt liegen die anonymisierten kantonalen Gesamtergebnisse des Check P3 vor. Mögliche Erkenntnisse: Der Anteil an Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Zweitsprache beeinflusst die Resultate negativ. Die Mädchen schneiden in den beiden Kompetenzbereichen „Lesen“ und „erstes Schreiben“ leicht besser als die Knaben ab, umgekehrt sieht es im Kompetenzbereich „Mathematik“ aus. Nun, wussten wir das nicht schon?

Es ist zwar grundsätzlich sinnvoll, wenn Tests dazu beitragen, den Lernstand der Kinder zu beschreiben, um sie nachher gezielter fördern zu können. Das tun die Schulen bereits. Für eine förderorientierte, ganzheitliche Beurteilung haben genormte Tests jedoch wenig Aussagekraft, da das Resultat z.B. stark von der Tagesform abhängt. Laut Forschungsergebnisse ist die wichtigste Lernvoraussetzung eine gute Lehrer-/ Schülerbeziehung. Darüber sagen Leistungstest nichts aus. Emotionale oder soziale Fähigkeiten lassen sich nicht messen. Mit der Zementierung der Leistungstests wird den „messbaren“ Kompetenzen klar mehr Wichtigkeit als den „weicheren“ und „musisch-kreativen“ Kompetenzen zugestanden. Eine Folge davon könnte sein, dass der Stoff- und Notendruck auf der Unterstufe weiter zunehmen wird. Denn sobald „offiziell“ flächendeckend getestet wird, wird unweigerlich dem „Teaching to test“ mehr Gewicht verliehen. Im 1. vierkantonalen Bildungsbericht NWCH 2012 wurde bereits darauf hingewiesen: „Bei den für den gesamten Bildungsraum Nordwestschweiz geplanten Leistungstests besteht allerdings die Gefahr, dass sich Lehrpersonen in ihrem Unterricht zu stark an den Inhalten der Leistungstests (sogenanntes teaching to the test) orientieren.“ Diese Tendenz ist im Kanton Solothurn auch bereits bei den Vorbereitungen zu den Orientierungsarbeiten der 5. Klasse festzustellen. Dass „Kopflastiges“ wichtiger ist, verschärft sich durch die Einführung der Checks zusehends. Einer Einengung der Bildung auf testbare „Inhalte“ wird Vorschub geleistet. Unsere Schule ist aber viel mehr, als man mit einem „Leistungscheck“ prüfen und erfassen kann. Tragen wir doch Sorge dazu!

Auf jeden Fall geht es zu weit, wenn flächendeckende Prüfungen kreiert werden, bei welchen Rankings und Vergleiche untereinander praktisch nicht zu verhindern sind. Erfahrungen im Ausland haben gezeigt: die mediale Aufmerksamkeit erreicht man mit reisserischen Titeln zu solchen Vergleichen. Im DBK aktuell 2-2014 heisst es jetzt zwar aufmunternd: „Die Rückmeldungen sind für die Bildungsraum-Kantone erfreulich.“ In der Nordwestschweiz (Ausgabe 1.3.14) lautete aber die Schlagzeile, obwohl die Ergebnisse nahe zusammen liegen, süffisant: „Solothurner liegen im hinteren Mittelfeld.“ Das lässt bereits viel Interpretationsraum offen!

Der LSO hat sich für eine vorgängige Schaffung von rechtlichen Absicherungen im Datenschutz eingesetzt und davor gewarnt, die Thematik auf die leichte Schulter zu nehmen. Leider konnten die Bedenken bis jetzt nicht enthärtet werden. Um die Gefahren von Rankings zu bannen, gibt es wiederum verschiedene Möglichkeiten: individuelle Testdurchführungen, Auswahl von zwei Testangeboten, keine flächendeckenden Tests zum gleichen Zeitpunkt. Sind die Checks auf der Primarstufe wirklich nur ein Gewinn? Ich wünschte mir eine Schule mit Blick aufs Ganze.

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