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AutorenbildMathias Stricker

Gemeinsame 1. August Rede von Barbara Leibundgut und Mathias Stricker: «Politik lebt von der Uneinigkeit»

«Uneinigkeit kann auch ein Konsens sein», so ein Fazit der Ansprache zum Nationalfeiertag in Bettlach. Die Rede zum Nationalfeiertag in Bettlach wurde diesmal als Zwiesprache zwischen Gemeindepräsidentin und Kantonsrätin Barbara Leibundgut (FDP) und Gemeinde- und Kantonsrat Mathias Stricker (SP) gehalten. Als roten Faden wählten sie verschiedene Lieder von Mani Matter, etwa das Lied «Dynamit», das von einem Wutbürger handelte, noch bevor dieser Begriff existierte.


Festrede:


Liebe Bettlacherinnen und Bettlacher


Dieses Jahr gestalten wir die 1. August-Ansprache mal etwas anders: Mathias Stricker und ich haben uns – inspiriert von der Zündhölzli-Aufführung in Grenchen – Gedanken zur Politik gemacht. Wir nehmen ein paar Lieder von Mani Matter auf und betten sie in unsere Gedanken ein.


Im Lied von Mani Matter «Dynamit» will ein enttäuschter Bürger das Bundeshaus in die Luft sprengen. Gewalt als Lösung? Das kann es wahrscheinlich nicht sein! Aber wie binden wir alle Bürgerinnen und Bürger, Einwohnerinnen und Einwohner in die gewaltlose Lösungsfindung ein? Wie gehen wir mit unterschiedlichen Lösungen und Meinungen um? Diese Fragen beschäftigen Barbara und mich.


Wenn Politikerinnen und Politiker zusammenkommen, geht es leider oft darum, wer hat «Recht». Eine Politverdrossenheit in der Bevölkerung - auch durch die Polarisierung – ist nicht zu verleugnen. Gerade auch, wenn ich die politische Entwicklung in anderen Ländern verfolge. Ich bin aber überzeugt, dass wir alle – die Politikerinnen und Politiker auf Gemeindeebene, kantonaler und nationaler Ebene mitgedacht - unter dem Strich das gleiche Ziel haben: dass es den Menschen gut geht, dass sie für ihre Grundbedürfnisse in aller Freiheit sorgen können. Wie man diese Ziele erreicht, darüber wird dann aber ausführlich argumentiert, debattiert, diskutiert, Unterschiede herausgestrichen, der Konsens gesucht. Verschieden sind die Wege nicht nur nach Rom … auch nach und in Bettlach oder im Kanton Solothurn.


Reden animiert zum Nachdenken, Nachdenken animiert zum Reden. Ich plädiere dafür, dass wir Menschen wieder vermehrt lernen miteinander zu kommunizieren, aufeinander zuzugehen und zu diskutieren. Das heisst, dass ich z.B. vermehrt nachfrage, wenn mich eine Argumentation irritiert. So kann ich versuchen, die Beweggründe sorgfältiger nachzuvollziehen, mir ein «breiteres» Bild der Gegenseite einzuholen und zu machen. So ist es mir möglich, andere Argumente besser zu verstehen. Allenfalls kann ich so meine eigene Haltung festigen, relativieren oder entwickeln oder sogar meine Meinung ändern.   


Ja, wir beide haben oft unterschiedliche Meinungen und teilweise grundsätzlich andere Haltungen. Zum Glück können wir diese gut ausdiskutieren und wir können uns gegenseitig mit unseren Meinungen akzeptieren und schätzen. Die Haltung von dir zu hören, gibt mir Anlass zum Hinterfragen und Überdenken meiner Ansichten. Es geht mir sehr ähnlich wie dir, manchmal hilft es die eigene Ansicht zu relativieren, manchmal zu festigen und manchmal auch umzudenken. Unterschiedliche Meinungen zu hören und eben gut zuzuhören ist eine Bereicherung. Andere Meinungen ernst zu nehmen ist mir – und das weiss ich, auch dir - sehr wichtig. Und für uns beide ist es zu einfach, andere Meinungen „mit ja die halt wieder“ abzutun.


Zum Beispiel bei der AHV-Renten-Abstimmung hast du dich sehr dafür eingesetzt, ihr habt gewonnen. Meine Bedenken waren, wie das finanziert werden soll, da es schwierig sein würde, Mehrheiten für die eine oder andere Finanzierungslösung zu finden, so dass die Lösung wohl am ehesten über Mehrwertsteuerprozente oder Lohnabgaben gefunden wird. Das trifft die Jungen oder die, die eigentlich die 13. AHV wirklich brauchen. Dieses Beispiel zeigt schön, dass nicht eines von uns Recht hat. Die Argumente beider Seiten haben etwas für sich. Jetzt sind noch viele Diskussionen nötig, um eine tragfähige Lösung zu erhalten. So ist es bei vielen Geschäften, die wir im Gemeinde- und Kantonsrat mitgestalten. Es braucht Diskussionen, Auseinandersetzungen und am besten gelingen die Lösungsfindungen, wenn man zusammen am Tisch sitzt, einander in die Augen sehen kann und auf nonverbale Signale des Gegenübers eingehen kann.


Mani Matter bringt es auf den Punkt mit „Si hei der Willhelm Tell ufgfüehrt“: jede stillt si gheimi Wuet und es kommt zur Schlägerei. Heute wird die stille Wut nicht mehr mit Fäusten abgeregt. Dafür schlagen sich viele wütende Worte auf Social Media um die Ohren. Dabei entsteht leider keine Diskussion, sondern eben nur ein verbaler Schlagabtausch, bei dem andere Meinungen nicht wahrgenommen werden und nur die Anzahl Likes zählt. Missverständnisse werden geradezu emporstilisiert und oft bleibt der Anstand auf der Strecke. Ich diskutiere lieber direkt und habe deshalb auch fast immer eine offene Bürotür. 


Oder: auf eine schwierige E-Mail reagiere ich lieber mit einem Telefonanruf als mit einem weiteren E-Mail. Wenn man einander hören und im Idealfall noch sehen kann, lässt sich vieles ganz anders austauschen: Konstruktiver, weil ich dann die Energie, die Gesten, das Wesen meines Gegenübers viel besser einordnen und seine Anliegen besser nachvollziehen kann. Vieles würde besser laufen, wenn wir mehr miteinander sprechen würden und zwar auch mit anders Denkenden. Dazu gehört zuerst die Bereitschaft, einander zuzuhören und zwar jedem Menschen, jedem Gegenüber, egal welcher Haltung und Herkunft, egal welchen Alters und welcher Bildungsschicht. Oft ergeben sich aus den Gesprächen erst weitere gute Ideen. In Kontakt treten, sich austauschen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede finden.


Der Konsens kann nicht immer das Ziel oder möglich sein. Wenn wir uns aber angehört haben und diskutiert haben, kann trotzdem die Akzeptanz für die andere Meinung, die Akzeptanz für die andere Person gestärkt werden und im besten Fall die Uneinigkeit konsensual und wertschätzend festgestellt und ausgehalten werden – so wie es Barbara vorher beschrieben hat und wie ich es immer wieder auch mit anderen Politikerinnen und Politiker erleben darf. Denn das Gegenüber hat auch immer ein wenig recht. Uneinigkeit darf und soll sein. So kann unsere Demokratie funktionieren, die Gesellschaft entwickelt sich ständig vorwärts, fortwährende Auseinandersetzung und Offenheit zwischen den Menschen hilft; ohne Gewalt schlussendlich! 


Wenn ich mir überlege, was mir der 1. August bedeutet, ist etwas davon, die Gelegenheit sich über die Heimat Gedanken zu machen, was gefällt mir an der Schweiz besonders, was bedeutet mir die Schweiz. Dann gehört sicher dazu, dass verschiedene Meinungen haben Platz, dass wir zwar lange Diskurse haben, bis wir zu einer Lösung gelangen, dafür sind Lösungen breit abgestützt und es gibt bei Legislaturwechseln wenig Hin- und Her im Vergleich mit dem Ausland. Wenn die Regierung in vielen anderen Ländern wechselt, werden Lösungen der Vorgängerregierung aufgehoben und annulliert. Das verursacht einen Zickzackkurs, gibt keine Stabilität und viel Unsicherheit in der Bevölkerung, was nun gilt. Da ist unser Land sehr viel stabiler und weniger anfällig auf ständiges Hin und Her.


Bei uns haben verschiedene Meinungen Platz – wir diskutieren sehr und suchen den Konsens. Meist erhalten wir tragbare Lösungen für alle, dafür keine Maximalvarianten. Wichtig scheint mir, dass alle das Beste für die Gemeinde, den Kanton und die Schweiz wollen und wir nur unterschiedlich gewichten und verschiedene Wege sehen, wie das Beste erreicht werden soll.

Politik lebt von der Uneinigkeit, nur wenn Diskussionen möglich sind, wird es spannend und schliesslich gewinnbringend für alle. Wer hat schliesslich Recht? Die Vorwärts- oder die Rückwärtsfahrenden? Mani Matter stellt diese Frage im Lied ir Isebahn. Fazit: niemand hat Recht, jede Ansicht hat etwas für sich.


Unser Konsens besteht darin, dass es unterschiedliche Meinungen gibt und braucht, damit unser Land sich weiterentwickeln kann, dass wir aber eine Bereitschaft brauchen, diese Unterschiede auszuhalten, dass es aber den Dialog braucht, damit kein Konflikt entsteht.


Am 1. Aug. erinnern wir uns an die Schweizerische Eidgenossenschaft. Wäre es nicht viel mehr „eidgenössisch“, wenn man dem politischen Gegner, ob er nun links oder rechts steht, zumindest nicht von vornherein absprechen würde, dass auch er möglicherweise durchaus in guter Absicht handeln könnte, dass er das, was «das Beste für alle ist», vielleicht einfach anders definiert? Wäre es darum nicht viel mehr «eidgenössisch», wenn wir zwar in der Sache hart, aber fair, anständig und offen miteinander diskutieren würden? Wäre es nicht viel mehr «eidgenössisch», wenn wir uns wieder mehr als Gemeinschaft verstehen würden, in der Vertrauen und Respekt füreinander wichtiger sind als Abschätzung und Ausgrenzung?


Um miteinander ins Gespräch zu kommen, gibt es auch in Bettlacher Dorfleben viele Möglichkeiten. Feste wie das Waldrandfest, der Bettlebierobä oder das Zähnteschürfest, der Turnerabend oder das Grümputurnier des FC und viele andere Anlässe. Vielleicht auch in der Kommissionsarbeit der politischen Behörde. Oder vielleicht einfach auf dem Bänkli «Wie geit’s» beim Gemeindehaus? Miteinander ins Gespräch kommen, sich austauschen, zuhören, und sich auch mal nicht einig zu sein, sich aber trotzdem wertschätzen. Das macht’s aus! Auch hier an der 1. August-Feier! Wir freuen uns auf den Austausch nachher.


Übrigens: Im Lied «Dynamit» meint Mani Matter, dass er mit seiner Rede an den enttäuschten Bürger, diesen vom Akt der Gewalt abhalten konnte. Diese Rede sei so «demokratielobend» gewesen, dass ein Ross patriotisch geworden wäre. Uns freut’s, wenn ihr jetzt nicht unbedingt patriotischer geworden seid, dafür aber in Gesprächen offen, offener oder bewusster auf andere Meinungen eingehen und diese auch mal in aller Wertschätzung stehen lassen könnt.


Ja, manchmal braucht es Mut fürs Politisieren, einen breiten Rücken, ein Taburettli, auf dem Hansjakobli zaget und Babettli drauf dopplet, und einmal mehr rufen He he Frau Meier, druf hei si glachet à wenn wir etwas mehr rufen „he he Frau Meier“ weckt das aus dem Tunnel auf und mit etwas Humor können wir die Scheuklappen eher ablegen.


Wir danken allen für die Aufmerksamkeit und fürs Nachdenken. Wir wünschen euch einen schönen und besinnlichen 1. August und jetzt freuen wir uns auf die Gespräche mit euch Bettlacherinnen und Bettlacher, und natürlich auf den Lampionumzug, der um 21.00 Uhr startet.


Barbara Leibundgut, Mathias Stricker

1. August 2024

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